Aristoteles entwickelt in der Nikomachischen Ethik das Konzept der Eudaimonie als einem Kernbegriff der antiken Philosophie. Damit meint er das vollkommene, absolute Gute, das sich in dauerhaften Handlungen vollzieht. Bei näherer Betrachtung wird auch die Verbindung zu Mäzenatentum und Philanthropie deutlich.
Um das Heute zu verstehen, lohnt sich oftmals der Blick in die Vergangenheit. So auch, um sich einem besonderen Verständnis von Mäzenatentum und Philanthropie zu nähern. In diesem Fall reicht der Blick in die Vergangenheit sogar fast 2500 Jahre zurück und führt ins antike Griechenland. Und zwar zu Aristoteles (384 bis 322 vor Christus), dem wohl bekanntesten Schüler des großen Platon. Aristoteles gehört zu den einflussreichsten Philosophen und Naturforschern der Geschichte und hat zahlreiche Disziplinen entweder selbst begründet oder maßgeblich beeinflusst, darunter Wissenschaftstheorie, Naturphilosophie, Logik, Biologie, Physik, Ethik, Staatstheorie und Dichtungstheorie.
Nikomachische Ethik ist die älteste wissenschaftliche Ethik Europas
Eigentlich kann man nicht sagen, dass Aristoteles für etwas besonders bekannt war. Seine überlieferten Werke in Gänze haben die europäische Geistesgeschichte und kulturell-intellektuelle Entwicklung derart geprägt, dass man von jeder Wertung besser Abstand nehmen sollte. Ist die Poetik wichtiger als die Rhetorik, die Metaphysik wichtiger als die Politik? Was im Zusammenhang mit Mäzenatentum und Philanthropie indes als herausragend erscheint, ist die Nikomachische Ethik. Die Nikomachische Ethik (im Folgenden werden Zitate aus der Nikomachischen Ethik mit dem Kürzel „NE“ in Kombination mit dem entsprechenden Buch und Kapitel gekennzeichnet) gilt als die bedeutendste der drei unter dem Namen des Aristoteles überlieferten ethischen Schriften und ist die älteste wissenschaftliche Ethik Europas. Die Bücher V—VIII sind identisch mit den Büchern IV—VI der Eudemischen Ethik.
Das Endziel ist die Erlangung des eigentlichen Guten
Aristoteles entwickelt in der Nikomachischen Ethik das Konzept der Eudaimonie als einem Kernbegriff der antiken Philosophie. Der Begriff geht auf das altgriechische „εὐδαιμονία“ zurück, das so viel bedeutet wie „von gutem Geist“. Gewöhnlich wird Eudaimonie einfach mit „Glück“ oder „Glückseligkeit“ übersetzt. Das ist in der klassischen Philologie und Philosophie umstritten, weshalb der Begriff häufig in der Fachliteratur nicht übersetzt wird. Schon weit vor Aristoteles ist die Eudaimonie ein Basiskonzept in Literatur und Philosophie. So unterscheidet beispielsweise Platon zwischen dem erfreulichen Zustand Eudaimonie als hohem Wert und der Lust („hēdonḗ“), die er als Gut niederen Ranges betrachtet. Mit Eudaimonie meint er das vollkommene, absolute Gute, das in der platonischen Werteordnung höchsten Rang einnimmt.
Diese Haltung nimmt auch Aristoteles ein. in der Nikomachischen Ethik benennt Aristoteles die Eudaimonie als das für einen Menschen höchste Gut, ohne Platon zu kopieren. Denn Aristoteles lehnt die platonische Ideenlehre ab und ordnet die Ziele hierarchisch. Das Endziel ist die Erlangung des eigentlichen Guten, das an der Spitze aller Güter steht. Somit besteht die Hauptaufgabe der philosophischen Ethik darin zu bestimmen, was das höchste Gut ist: „Jede Technik und jede Methode, desgleichen jedes Handeln und jedes Vorhaben zielt, wie es scheint, auf irgendein Gut ab; deshalb hat man das Gute treffend als das bezeichnet, worauf alles abzielt.“ (NE I 1, 1094a)
Das Gute ist ein verbindendes, übergeordnetes Prinzip
In der Wissenschaft herrscht Einigkeit, dass das Gute zugleich ein sittlicher Grundbegriff ist und damit die Frage betrifft, wie man sein und sich verhalten soll. Das Gute zielt damit nicht allein auf Vorteilsmaximierung im Sinne des Wollens und Wünschens ab (vgl. Buchheim, Thomas (1999): Aristoteles. Freiburg/Basel/Wien: Herder, S. 145). Das folgt dem Verständnis, dass Aristoteles das Gute als intersubjektiven Begriff ansieht, der immer relativ auf den Menschen als rationales Wesen abgestellt ist, der sich kontinuierlich im Austausch mit anderen darüber befinde, was gut ist oder eben nicht (vgl. ebd.).
Kurz gesagt: Das Gute ist ein verbindendes, übergeordnetes Prinzip, das sich nicht in Details verstrickt und auch nicht nur in Bruchstücken verstanden werden kann. Der, der wirklich gut sein will, muss dies als Globalziel anerkennen. Es reicht nicht aus, temporär gut zu sein. Das Gute als Zweck des Lebens ist menschliche Handlungsmaxime und identitätsstiftende Kategorie. Es genügt also nicht, tugendhaft und gut sein zu wollen. Die Handlungen müssen diesem Vorsatz entsprechen, um wirklich gut zu sein. Das Gutsein wird zum Maßstab des Handelns.
Freigebigkeit setzt den Besitz von Geldmitteln voraus
Interessanterweise erkennt Aristoteles auch bestimmte Grundbedingungen, um der Handlungsmaxime der dauerhaften guten Tat entsprechen zu können. Das Gute kann sich nur in echten Handlungen vollziehen, die wiederum von der Möglichkeit vorgegeben sind, die dafür notwendigen Mittel vorzuhalten. Freigebigkeit setzt den Besitz von Geldmitteln voraus! Eudaimonie, Glückseligkeit, wird um ihrer selbst willen erstrebt (das sogenannte Ergon-Argument). Alle anderen Güter werden nur benötigt, um dieses Ziel zu erreichen. Damit ist Eudaimonie das vollkommene und selbstgenügsame Gut und das Endziel des Handelns und das „Erstrebenswerteste von allem, und zwar so, dass man ihm nichts mehr hinzufügen kann“ (NE I 5, 1097b). Aber es lässt sich nur dann erreichen, wenn die wirtschaftliche Basis abgesichert ist. Wer finanzielle Not leidet, kann sich dem Guten nicht mit voller Kraft zuwenden, da er um die eigene Existenz kämpfen muss.
Mäzene stiften Sinn auf vielen Ebenen
Hierbei wird auch die Verbindung zu Mäzenatentum und Philanthropie deutlich. Ein Mäzen ist bekanntlich eine Person, die einen anderen Menschen, einen Verein oder Einrichtungen mit Geld bei der Umsetzung eines Vorhabens unterstützt, ohne eine direkte Gegenleistung zu verlangen. Dafür wird also persönliches Vermögen benötigt – und zwar der Teil des Vermögens, der nicht zur Deckung der eigenen Bedürfnisse benötigt wird. Im Leben des Mäzens ist also die Unterstützung einer kulturell-künstlerischen Sache die Eudaimonie, das große Gute, der übergeordnete Zweck der Existenz. Mäzene stiften Sinn auf vielen Ebenen. Sie übernehmen Verantwortung für den Kulturbetrieb und werden beispielsweise Teil einer Gemeinschaft, die Musik als Quelle der Inspiration und Lebensfreude auf höchstem Niveau fördert. Das ist die Handlungsmaxime eines Mäzens: für Künstlerinnen und Künstler eine existentielle Unterstützung zu schaffen, um Entfaltung und künstlerisches Schaffen zu ermöglichen. Durch dieses Tun erreichen Mäzene ihre Eudaimonie und beweisen ihren Weg zum Guten im Aristotelischen Sinne.
Somit beschreibt Aristoteles, ohne es zu nennen, in der Nikomachischen Ethik die Grundprinzipien von Mäzenatentum und Philanthropie. Aristoteles fragt sich, wie das Leben zu Eudaimonie führen kann. Die Antwort ist gegeben: durch echte Handlungen, die das Gute fördern, wie es Mäzene tun. Der Sinn des Lebens ist Eudaimonie; diese kann nicht hedonistisch-individualistisch gelingen, sondern allein durch die Kultivierung einer sinnvollen, zweckgerichteten Existenz, um dadurch ein erfolgreicher Mensch zu werden. Mäzene geben durch ihre Wahl des Eudaimonie-Prinzips der Gesellschaft einen nachhaltigen Wert zurück und nutzen damit ihren wirtschaftlichen Erfolg für das übergeordnete Gute.
Dr. Patrick Peters ist Professor für PR, Kommunikation und digitale Medien an der Allensbach Hochschule in Konstanz und befasst sich als Unternehmensberater (Klare Botschaften), Publizist und Wissenschaftler ausgiebig mit Ethik und Kommunikation. Er ist Chefredakteur des Impact Investing-Magazin.